Unser deutsches Schulsystem braucht radikalen Neustart
Die Kritik am Schulsystem ist seit 1974 von Fachleuten und von Arbeitgebern breit belegt und bekam nach der sog. PISA-Katastrophe von 2001 enormen Schub, der sich gerade exponentiell verstärkt, weil sich die Missstände nicht ändern, eher noch beschleunigen:

Pro Jahr verlassen 50.000 Schülerinnen & Schüler das System ohne Abschluss.
Pro Jahr werden 1-2 Mrd. € für Nachhilfe privat bezahlt.
Mittelfristig fehlen 40. 000 Lehrkräfte.
Zu viele Referendarinnen & Referendare brechen die Ausbildung vorzeitig ab.
Das Niveau der Grundkompetenzen sinkt stetig.
Der Sanierungsstau bei Schulgebäuden liegt bei rund 40 Mrd. €.

Jedem sollte also klar sein, dass es so nicht weitergehen kann, weder im Interesse der Kinder noch der Gesellschaft.

Wo soll man ansetzen, wenn es gesamtes System versagt? Es geht nur mit einem NEUSTART, also der schlichten Frage:

Wie würde man die Art & Weise der Bildung von Kindern und Jugendlichen heutzutage gestalten, wenn man SCHULE völlig neu erfinden will? 

In der Wirtschaft löst man solche Aufgaben mittels der Methodik der Wertanalyse oder moderner mit dem QFD-Ansatz (Japan).
Übertragen auf unser Schulsystem würde man zunächst die unbequeme Frage stellen, WARUM man BILDUNG überhaupt brauche, die ja erst seit 1919 gesetzlich normiert ist? Am Anfang steht also die Frage nach Sinn & Zweck von Bildung.

Geht man von einer positiven Antwort aus, wären zunächst die LERN-BEDARFE der jungen Menschen zu erfassen, die im Alter von 5 bis 18 Jahren anstehen. Diese müssten sich überwiegend herleiten aus den Anforderungen der Zukunft, also gipfeln in der Frage, wie unsere Gesellschaft, Umwelt, Wirtschaft und nicht zuletzt unsere Demokratie in zwanzig Jahren idealerweise aussehen möge? Man müsste also vom Ende her denken und einen Konsens suchen, was natürlich viel herausfordernder ist, als herkömmliche Sichtweisen und persönliche Erfahrungen der eigenen Schulzeit unreflektiert in die Zukunft zu projizieren. Es kann in Anlehnung an Seneca also nur heißen:
Lernen wir für die Schule oder für das Leben in der Zukunft ?
Parallel müssten Lern-Psychologen und Neurobiologen aufklären über die elementaren Vorgänge beim Lernen und dies für die jeweiligen Altersstufen. Spätestens jetzt sollte klar sein, dass jedes Kind individuelle Voraussetzungen und Fähigkeiten mitbringt und eine Unterrichtung nach dem Gießkannen-Prinzip nur dysfunktional sein kann, also die Kern-Funktion des Lernprozesses nicht erbringt, eher verhindert.

Letztlich müssen Eltern und Politik entscheiden, ob es im System Schule primär um Beschäftigung (in den Brennpunkten sogar eher um Aufbewahrung) von Schülern und Lehrern geht oder um die Entfaltung der individuellen Potentiale (Stichwort: Spätzünder) Egal wie die Neu-Konzeption aussehen würde, sie sollte richtig verstanden werden:  Bildung ist und bleibt system-relevant

Prof. Dr. Jörg Mehlhorn, Kronberg im Taunus, 12. Februar 2023
Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Kreativität e.V.